Episode 6

Flugwetter

  • Hamster 06 zum Hören

Rona und Nico sassen auf dem Kletterturm im Innenhof ihrer Wohnsiedlung und schauten entsetzt zu, wie sich ihr Hamster Fidschi vom Balkon im zweiten Stock in die Luft warf.
Er dachte, er könne wie ein Vogel fliegen, weil Nico als Witz gesagt hatte, gewisse Felshamster könnten das.
Nein, das können sie leider nicht.

Für einen Moment erstarrten Nico und Rona und rissen Augen und Mund weit auf, aber es kam kein Ton heraus.

Dann sprangen beide gleichzeitig vom Turm mit der Absicht, Fidschi irgendwie aufzufangen. Sie rannten los.

Der Felshamster fiel wie ein Felsbrocken vom Himmel.

Nico und Rona fielen leider ebenfalls und zwar übereinander. Nico stolperte und Rona stürzte über ihn hinweg, als ob sie für einen Schwimmwettkampf kopfvoran ins Wasser springen wollte.

Nico schrie auf.
Ronas Knie hatte ihn mit voller Wucht am Rücken getroffen und sein linker Ellbogen schmerzte höllisch.

Rona schrie, weil sie übers Kies geschlittert war und ihre Hände, Unterarme und das halbe Gesicht aufgekratzt hatte. Es brannte mörderisch und überall mischte sich Blut mit Dreck und kleinen Kieselsteinen.

Anna schrie, weil die andern beiden schrien und weil sie schlimm aussahen und weil sie Blut nicht sehen konnte.
Auf den Balkonen riefen und schrien verschiedene Leute, was Mäm und Paps hörten.
Sie rannten auf ihren Balkon und dann schrien sie auch.

«Ach, Scheibenwischer! Nico und Rona!», rief Paps. «Wir kommen.»

«Nicht das auch noch!», rief Mäm.

Sie rannten die Treppe hinunter, Paps nahm drei, vier Stufen aufs Mal.
«Pass auf, Sven!», rief Mäm. «Mach keinen Unfall!»

Aber es war zu spät. Paps schlitterte in eine Tasche voll Altglas, die die alten Schwestern Hildebrand vor ihre Wohnungstüre gestellt hatten. Die Flaschen und Gläser schossen in alle Richtungen und zerbrachen klirrend. Tausend Scherben flogen durch die Luft und verteilten sich im Treppenhaus.
Paps war aber nichts passiert. Er rannte weiter zu seinen Kindern. Aber Mäm war barfuss unterwegs und kam wegen der Scherben nicht weiter. Sie musste den Lift nehmen.

Als sie ebenfalls bei den Kindern war, wusste Paps schon, dass sie zum Arzt gehen mussten.
Mäm erinnerte ihn aber daran, dass es Sonntag war, und der Hausarzt nicht offen hatte. Sie mussten ins Spital.

Ein Spitalbesuch mit verletzten Kindern ist nie ein toller Ausflug.
An einem Sonntag erst recht nicht.
Aber wenn dann auch noch eine Krise herrscht und alle Angst haben vor einem Virus und man Abstand nehmen sollte von allen Menschen, vor allem von kranken Menschen, dann ist ein Spitalbesuch gar nicht lustig.

Die Kinder mussten ewig warten, bis Paps seine Brieftasche und den Autoschlüssel geholt hatte. Und dann musste er nochmals in die Wohnung rauf, um für Mäm Schuhe zu holen.

Endlich rauschten sie los.
Beim Eingang zur Notfallaufnahme standen zwei Sicherheitsleute in Uniform, mit Mundschutz und Plastikhandschuhen. Alles wirkte sehr, sehr ernsthaft.

Glücklicherweise waren Nico und Rona aber nicht ernsthaft verletzt.
Wir müssen jetzt nicht alles erzählen, was im Spital passiert ist, oder?
Die einen von euch können sich das vorstellen und andere wollen es sich vielleicht gar nicht vorstellen.

Auf jeden Fall sah Rona danach aus wie eine Halbmumie. Ihr halbes Gesicht und beide Hände und beide Unterarme waren dick eingebunden. Das linke Auge war geschwollen und rot angelaufen. Wenn sie sich aber nicht bewegte, nichts berührte und nichts sagte, hatte sie keine Schmerzen.

Nico hatte blaue Flecken am Rücken und einen Knochenriss am Ellbogen. Deshalb war auch dieser dick eingepackt.

Auf dem Heimweg sagte Mäm: «Ich schätze, morgen müsst ihr nicht zur Schule.»

«Morgen ist gar keine Schule, Schatz», sagte Paps.

«Ach stimmt, ja, Mist, das hatte ich ganz vergessen.»

«Dann haben wir morgen doppelt frei», sagte Nico.

«Wie du jetzt schon wieder Witze machen kannst, ist mir ein Rätsel», sagte Paps.
Aber auch er musste lachen. «Immerhin habe ich jetzt einen Grund, dass ich morgen nicht zur Arbeit weg muss. Wir dürfen nämlich kranke Kinder in Notfällen zuhause pflegen und dafür freinehmen.»

«Nimmt mich schon Wunder, wie das gehen soll, wenn ab morgen alle Kinder im ganzen Land zuhause bleiben müssen», sagte Mutter. «Denk mal an Anita und ihre drei Kinder. Oder an Schaufelbergers.»

Die Eltern sprachen über alle möglichen Schwierigkeiten und wie sie selber diese Krise wohl anpacken sollten.

Die Kinder sagten nichts.

Erst zuhause, als sie in ihr Zimmer kamen, rief Rona: «FIDSCHI! Wo ist Fidschi? Ach, den habe ich ganz vergessen!»

 

Beschäftigungsideen

Habt ihr Verbandsmaterial zuhause? Dann könnt ihr ja mal versuchen, jemandem den Ellbogen zu verbinden oder einen Fuss, eine Hand oder ein halbes Gesicht.
Wenn ihr genug Verband habt, könnt ihr sogar eine ganze Mumie einwickeln.
Wir freuen uns auf eure Fotos an hamster@andrewbond.ch.

Aber nehmt bitte kein WC-Papier! Das ist heutzutage rar und wertvoll ;-)

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